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Wilhelm Steinbach (1902 – 1943)

als „Zigeuner“ verfolgt und in Auschwitz ermordet - ein bisher unbekanntes Lemgoer Opfer

 

Passbild Wilhelm Steinbach, 1941 (B 3188)

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Der 2. August ist der internationale Tag des Gedenkens an die rund 500.000 von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma. Am 2. August 1944 ermordete die SS im Zuge der Auflösung des so genannten „Zigeunerlagers“ im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau die letzten noch lebenden rund 3.000 Sinti und Roma in den Gaskammern. Sie gehörten zu den ca. 23.000 Sinti und Roma, die aufgrund des „Auschwitz-Erlasses“ des „Reichsführers SS“ Heinrich Himmler vom 16. Dezember 1942 nach Auschwitz deportiert worden waren (Quelle: Deutscher Bundestag). Die Deportationen der Sinti und Roma begannen Ende Februar 1943.

Im Konzentrationslager Ausschwitz starb auch Wilhelm Steinbach. Sein Schicksal war bisher unbekannt, keine Inschrift oder Stolperstein erinnert an ihn. Geboren wurde er am 6. Februar 1902 im nordhessischen Dodenhausen im Kreis Frankenberg a. d. Eder. Seine Eltern waren der Künstler Johann Steinbach und die Pauline Steinbach, geb. Justheim, aus der Gegend von Nordhausen in Thüringen stammend. Aus den Personenstandsurkunden geht natürlich nicht hervor, wie sich sein weiterer Lebensweg entwickelte, bis er nach Lemgo kam. Wir wissen lediglich, dass er 1932 von Herford (Hellerweg 5) nach Lemgo zog und dort zunächst in der Heustraße 39 und ab Februar 1933 in der Heustraße 31 bei der Witwe Frieda Paula Klaasen, geb. Wagner wohnte. Ihr erster Mann (der Händler Johann Klaasen) war bereits am 3. Mai 1930 in Lemgo verstorben. Sie selbst wurde am 8. Juni 1893 in Vlotho geboren. Ob es zwischen den Beiden bereits vor 1932 eine Verbindung gab, ist unklar. 

Jedenfalls heirateten sie am 8. April 1933 in Lemgo. Aus dieser Ehe scheinen keine Kinder hervorgegangen zu sein. In der standesamtlichen Eheschließungsurkunde gibt Wilhelm Steinbach „Musiker“ als Beruf an, was vermutlich in Richtung eines Straßenmusikers deutet. Möglicherweise war sein Vater als Künstler auch Musiker, In diesem Beruf scheint er jedoch in Lemgo nicht länger gearbeitet zu haben, sondern als Händler im Wandergewerbe. Denkbar ist, dass er diese Gewerbe über seine Ehefrau In Lemgo bzw. über deren verstorbenen Ehemann übernahm. In einem Nachweis der erteilten Genehmigungen zum Wandergewerbe in Lemgo gab er an, dass er mit Kram- und Kurzwaren, Spitzen und der Reparatur von Schirmen handelte. Seine Frau ist gleichfalls mit einem eigenständigen Gewerbe aufgeführt. Im Gegensatz zu seiner Frau war er aber anscheinend beim Umsatz deutlich weniger erfolgreich als sie. Eine Erkrankung ist nicht auszuschließen, da er bei den besonderen Merkmalen mit „beschwerlicher Sprache“ „krank aussehend“ oder „bleiche Gesichtsfarbe“ bezeichnet wurde. 1940, 1941 und 1942 wurden Wilhelm und Frieda Steinbach in der Liste der Wandergewerbekonzessionen nicht mehr direkt untereinander aufgeführt, sondern deutlich getrennt. 1943 ist dann nur noch seine Frau genannt. Es könnte zu einer Erkrankung bei Wilhelm Steinbach gekommen sein, die in arbeitsunfähig machte oder, die Ehegatten gingen bereits getrennte Wege. Im Januar 1943 wurde die Ehe vor dem Landgericht Detmold geschieden. Zu der Zeit befand er sich nach Angabe des Gerichtes im Landeskrankenhaus in Detmold. Frieda Steinbach sollte 1944 noch ein drittes Mal in Lemgo heiraten.

Der vermutlich noch wichtigere Einschnitt im Leben Wilhelm Steinbachs, ohne dass er dies vermutlich ahnen konnte, war sein Antrag auf Erteilung eines Wandergewerbescheines 1939 an den Lemgoer Bürgermeister als Ortspolizeibehörde. Hier schaltete sich nämlich der Steuerinspektor des Finanzamtes Lemgo mit einer Stellungnahm ein, in der er „erhebliche steuerliche Bedenken“ äußerte und Steinbach „der Zigeunerrasse“ zuordnete. Er dürfe deswegen nicht zum Wandergewerbe zugelassen werden und es sollten „eingehende Erhebungen“ angestellt werden. Außerdem unterstellte er ihm, wohl aufgrund des geringen Jahresverdienstes, „dunkle Geschäfte“ zu betreiben und seine Frau würde auf Ehescheidung klagen, weil er sie nicht ernähren würde, also den Unterhalt vorenthielte.

Damit war Steinbach letztlich diskreditiert. Darin mag auch der Grundstein für seine spätere Verfolgung liegen. Erstaunlicherweise war er trotzdem noch bis 1942 im Wandergewerbe tätig. Der Wandergewerbeschein für 1941 ist in der Akte enthalten. Entweder hat er ihn gar nicht abgeholt oder wieder zurückgegeben. Aus der Einwohnermeldekarte geht hervor, dass Steinbach ab dem 20. Februar 1943 bei der Stiftung Eben-Ezer gemeldet war. Dorthin wird er vermutlich nach dem Aufenthalt im Landeskrankenhaus gelangt sein, wobei dieser Aufenthalt auf der Karte nicht vermerkt ist. Die letzten beiden Meldeeinträge beziehen sich darauf, dass er am 1. März 1943 ins „Zigeunerlager“ nach Auschwitz (Oberschlesien) deportiert wurde. Das auf der Karte angegebene Todesjahr 1942 ist der nachträglichen Sterbebeurkunde im Sonderstandesamt Arolsen aus dem Jahr 1955 entnommen worden, ist aber offensichtlich falsch. Das tatsächliche Sterbedatum ist der 25. März 1943. Als Todesursache wird ein durch Diabetes bedingtes Koma genannt. Diabetes könnte durchaus den schlechten Gesundheitszustand Steinbachs erklären. Die Todesursachen in den Sterbebüchern der Konzentrationslager, soweit noch vorhanden, sind allerdings nicht unbedingt zuverlässig. Letztlich wird er an den katastrophalen Lagerbedingungen nur knapp drei Wochen nach seiner Ankunft am 5. März 1943 verstorben sein. Sein Tod wurde in Kauf genommen bzw. bewusst in Kauf genommen (Stichwort: Vernichtung durch Arbeit). Im August 1943 wurde durch öffentliche Bekanntmachung im Reichs- und Staatsanzeiger sein gesamtes Vermögen – wie hoch es auch immer noch gewesen sein mag – zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen und ermöglichte so die Fortführung des Krieges, in dessen Schatten die Ermordung von Millionen Menschen aufgrund nationalsozialistischer und rassistischer Ideologie überhaupt erst möglich war.