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Scheiterhaufen im "Kampf gegen Schund und Schmutz"

- Bücherverbrennung in Lemgo 1953

 

Aufruf zur Teilnahme im "Kampf gegen Schmutz und Schund" (Lippische Rundschau, 31.10.1953)

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"Aus Protest und zur Abwehr der Zersetzungsmächte gewissenloser Geschäftemacher, die unsere junge Generation mit ihren zweifelhaften und unsittlichen Druckerzeugnissen vergiften, werden von der Jugend heute, Sonnabend, 20 Uhr, vor der Jugendherberge in Lemgo Schund- und Schmutzhefte in einer Kundgebung verbrannt." (Lippische Rundschau, 31.10.1953)

Mit dem Thema Bücherverbrennung verbindet man zumeist die Zeit das Nationalsozialismus, insbesondere die "Aktion wider den undeutschen Geist" am 10. Mai 1933, die in vielen deutschen Städten stattfand. Diese Art der öffentlichen und demonstrativen Zerstörung literarischer Erzeugnisse hat jedoch eine lange Tradition, die in die Zeit vor 1933, aber auch in die Nachkriegszeit nach 1945 reicht. Die Ankündigung der Lippischen Rundschau zeigt, dass es auch in Lemgo nach 1945 eine Bücherverbrennung gab, wenn auch nicht aus politischen Gründen.

Mit dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 wurde in der jungen Bundesrepublik eine gesetzliche Grundlage für das Verkaufsverbot jugendgefährdender Schriften an Jugendliche unter 18 Jahren geschaffen. Mit der Durchführung des Gesetzes wurde die neu gebildete Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften beauftragt, die eine entsprechende Liste der für den Verkauf nicht zugelassenen Schriften führte. Dazu zählten vor allem "unsittliche, sowie Verbrechen, Krieg und Rassenhaß verherrlichende Schriften". Zu den Schriften zählten auch Abbildungen. Diese Definition ließ einen gewissen Ermessensspielraum zu. Neben pornografischen Schriften waren aber vor allem sog. Groschenhefte, Comics und Wildwest-Heftchen Medien, gegen die kirchliche und konservative Kreise regelrecht zu Felde zogen, aber auch unterstützt durch Verwaltung und Polizei.

Bereits durch Runderlaß des NRW-Innenministers vom 25.01.1952 wurden die nachgeordneten Verwaltungs- und Polizeieinrichtungen angewiesen, diejenigen Personen, die unzüchtige Schriften, Abbildungen, Darstellungen usw. herstellen, einführen oder damit Handel treiben, zu ermitteln. Im besonderen Fokus standen dabei die Kioske und Zeitungsstände.

In Lemgo gab es aber bis auf einen Fall (eine Schrift mit "Darstellung nackter Frauengestalten") keine Beschlagnahmungen oder sonstige Beanstandungen trotz regelmäßiger Überprüfungen. Auch die Lemgoer Buchhändler würden es ablehnen, "ihr Ansehen und ihr Geschäft durch den Verkauf von Schund- und Schmutzliteratur in Verruf zu bringen." Das städtische Ordnungsamt merkte jedoch an, dass das Hauptproblem darin bestehen würde, "[...] daß es keinen einheitlichen Begriff gibt, was nun als Schund- und Schmutzliteratur anzusehen ist.". Im Februar 1953 schlug das Ordnungsamt - als Maßnahme zur Hilfestellung für die Kriminalpolizei - vor, die Lehrer in allen Schulen zu verpflichten, die Schultaschen der Schüler unvermutet auf Schund- und Schmutzliteratur zu überprüfen und über einen Verbindungsmann sofort an die Kriminalpolizei weiterzuleiten. Einzelheiten sollten im städtischen Jugendausschuß besprochen werden  Dieser Vorschlag war aber zunächst als Zwischenlösung bis zum Abschluss des zu erwarteten Gesetzes gedacht. Zu einer solchen Regelung oder Besprechung im Jugendausschuß ist es dann nicht mehr gekommen, da das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften bereits im Juni 1953 erlassen wurde.

Die Vorstellungen der Lemgoer Ordnungsbehörde gingen also ursprünglich deutlich über die späteren, tatsächlichen Bestimmungen des Gesetzes hinaus. Im Oktober 1955 erhielten die kommerziellen Leihbüchereien in Lemgo (Klarholz, Gerhard Rieck, Otto Liesegang, Heinrich Schmuck und Gerhard Vossen) die Mitteilung, über welche Bezugsstelle sie ein Verzeichnis unzüchtiger und jugendgefährdender Schriften erhalten können, um diese aus ihrem Bestand auszusortieren. Diese Leihbüchereien waren für den Vertrieb der Groschenhefte und anderer "Schmöker" in den 50er Jahren bedeutsam, so dass man wohl bestrebt war, auch diese möglichen Verteilungsstellen auszuschalten. Ein besonderer Nachdruck bei der Verfolgung der "Schmutz- und Schundliteratur" war hier aber nicht mehr festzustellen.

Die Initiative zur Aktion vom 31. Oktober 1953 ging anscheinend auf einen Aufruf des damaligen CVJM Lippe zurück. Die Wahl des Reformationstages wird sicherlich auch kein Zufall gewesen sein. Ob man damit an die Verbrennung theologischer Schriften und der päpstlichen Bannandrohungsbulle durch Martin Luther (am 10. Dezember 1520) indirekt anküpfen wollte, bleibt jedoch offen. Laut der Lippischen Rundschau wurden im Vorfeld 3000 Schundhefte gesammelt und 300 Jungen nahmen mit Fackeln in Lemgo teil. Das auch in vielen anderen Orten übliche Eintauschen von "Schundliteratur" gegen "gute Literatur" gab es auch in Lemgo. Dadurch alleine seien 1100 Hefte zusammengekommen.

Neben den männlichen Jugendlichen nahmen der Posaunenchor als musikalische Umrahmung und Vertreter des Regierungspräsidenten bzw. des Kreises und der Stadt Lemgo teil. Am nächsten Tag folgte eine Werbefahrt der Jungen auf Fahrrädern zum Lemgoer Marktplatz, wieder mit Ansprachen und anschließend wurden zahlreiche Luftballone losgelassen, an denen jeweils eine Karte mit folgendem Inhalt hing: "Wir Jungscharen des Lipperlandes grüßen unsere Freunde und Kameraden und rufen Euch auf, mit uns gegen Schund und Schmutz in Wort und Bild zu kämpfen!".

Fotoaufnahmen zu den Ereignissen am 31.10. bzw. 01.11.1953 gibt es nicht. Lediglich der Ballontag des CVJM Lemgo aus dem Jahre 1951 ist im Fotoarchiv Hermann Walzer dokumentiert. Die nächtliche Bücherverbrennung war vermutlich fototechnisch nur schwer zu bewerkstelligen und ist deswegen unterblieben.

Die deutliche Unterstützung der gesamten Aktion durch die Lippische Rundschau fand zumindest in der Freien Presse vom 31.10.1953 (siehe Foto) einen deutlichen Kritikpunkt. Hier wurde indirekt mit Hinweis auf die Bücherverbrennung 1933 eine gewisse Geschichtsvergessenheit bemängelt und vor den Folgen einer solchen Haltung gewarnt. Nachfolgeaktionen in vergleichbarer Art gab es in Lemgo anscheinend nicht...

Warum Lemgo als Ort für diese Kampagne ausgewählt wurde, ist unklar. Der Hinweis auf diese Aktion entstammt einem kurzen Eintrag in der Stadtchronik Karl Meiers, die gerade für eine Veröffentlichung für das Internet vorbereitet wird.

Vgl. zum Thema auch den Beitrag im Archivamtblog über eine Ausstellung jugendgefährdender Schriften am 9. Mai 1969 im Landeshaus des LWL in Münster.