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Lemgo grüßt Berlin

Tag der deutschen Einheit am 17. Juni zwischen Kundgebung, Arbeitseinsatz und Staffelläufen

Bis 1990 war in der BRD der 17. Juni der offizielle Gedenk- und Feiertag der deutschen Einheit, der an den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erinnerte. Damals erhöhte die SED-Führung die Arbeitsnormen, was einer Lohnkürzung gleichkam, um damit Wirtschafts- und Versorgungsproblemen zu begegnen. Am 17. Juni brach daraufhin in der gesamten DDR ein Aufstand der Betriebsbelegschaften aus, die streikten, demonstrierten und die Volkspolizei und SED-Stellen in die Defensive drängten. Der Aufstand erfasste rasch fast alle Bevölkerungskreise. Erst die Verhängung des Kriegsrechtes durch die sowjetische Besatzungsmacht und die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes mit zahlreichen Verhaftungen, aber auch Erschossenen und später durch Todesurteile Hingerichtete, brachte die Lage wieder unter Kontrolle und die SED zurück an die Macht. Im Nachgang wurden die Ereignisse in der DDR als verhinderter „faschistischer Putschversuch“ dargestellt. In der Bundesrepublik wurde dieser Tag bereits im August 1953 durch den Bundestag zum „Tag der deutschen Einheit“ erklärt, der neben dem Gedenken an die Opfer des Aufstandes, auch immer Gelegenheit bot, an die fehlende Einheit Deutschlands zu erinnern.

Am 26. Mai 1959 beschloß der Landtag NRW den 17. Juni als Tag der deutschen Einheit unter den besonderen Schutz der stillen Feiertage zu stellen. Gleichzeitig sollte dadurch eine „würdige“ Begehung dieses nationalen Feiertages ermöglicht werden. Die Detmolder Kreisgruppe des überparteilichen Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ lud zum 17. Juni 1959 bezeichnenderweise zu einer Kundgebung am Hermannsdenkmal ein, dem vermutlich prominentesten Denkmal der deutschen Einheit aus dem 19. Jahrhundert, das aber auch ursprünglich gegen den „Erbfeind Frankreich“ gerichtet und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für rechtsextreme und völkische Kreise Anziehungspunkt war. Damit knüpfte die Kundgebung 1959 an einen Ort mit zwiespältiger Tradition an.

(Jugendliche) Turner und Sportler aus den Kreisen Detmold und Lemgo veranstalteten erstmals zu diesem Anlass einen Mahnstaffellauf zum Hermannsdenkmal. Auf Beschluss des Lemgoer Hauptausschusses sollte der Bürgermeister Wippermann, die Lemgo berührende bzw. abgehende Staffel vor Ort begrüßen. Die Mitglieder des Lemgoer Rates wurden zudem zu einer gemeinsamen Omnibusfahrt zum Kundgebung am Hermanns-Denkmal eingeladen, an der dann auch 25 Personen teilnahmen. Ab 1960 wurde dieser Staffellauf zum Hermannsdenkmal durch bundesweite Stafettenläufe von den Westgrenzen der BRD bis zur Zonengrenze abgelöst. Die Läufer oder Fahrradfahrer der einzelnen Staffeln wurden – auch in Lemgo – über die örtlichen Schulen und Sport- und Turnvereine gewonnen und trugen Fahnen der BRD, Berlins und der Länder Mittel- und Ost-Deutschlands bei sich, womit der Anspruch auch auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße erhoben wurde. In Lemgo begrüßte der Bürgermeister die entsprechende Staffel jeweils offiziell auf dem Marktplatz.

Nach den Planungen des Kuratoriums „Unteilbares Deutschland“ wurde der Stafettenlauf der Jugend zum Tag der deutschen Einheit für den 17. Juni 1963 so geplant, dass er die Stadt Lemgo – anders als in den Vorjahren – nicht mehr berührte. Im Hauptausschuss kam es im Mai 1963 wohl auch deswegen zu einer längeren Diskussion darüber, wie der 17. Juni in Lemgo gestaltet sein sollte. Zunächst war die Meinung, man solle keine Kundgebung und auch keinen Fackelzug durch die Stadt veranstalten, sondern stattdessen war ein Arbeitseinsatz der Ratsmitglieder und der Verwaltungsmitarbeiter an diesem Tage im Gespräch. Der Erlös sollte für einen guten Zweck gespendet werden. In der darauffolgenden Hauptausschusssitzung wurde der vorherige Beschluss aber nach längerer Diskussion wieder umgestoßen und eine Gedenkstunde im Marianne-Weber-Gymnasium vereinbart und die Möglichkeit für Geldspenden angeboten. Insbesondere der Lehrer am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium und Ratsmitglied der CDU Dr. Herbert Hitzemann hatte sich für den Arbeitseinsatz ausgesprochen, wie wohl auch einige Schüler seines Gymnasiums. Die bisherigen Gedenkveranstaltungen hätten keine Resonanz mehr bei der Jugend gefunden. Hitzemann konnte sich aber nicht durchsetzen. Für die Gedenkstunde und eine offizielle Veranstaltung sprach sich v. a. das prominente SPD-Ratsmitglied August Berlin aus, dem sich dann weitere Ratsmitglieder einschließlich des Bürgermeisters August Flohr anschlossen. Als Festredner für den 17. Juni im Neubau des Marianne-Weber-Gymnasiums fand sich der EKG-Leiter Dr. Wilhelm Kemper !Link bearbeiten!.

Zu Weihnachten 1961, wenige Monate nach dem Berliner Mauerbau, schlug das Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ eine vom Tag der deutschen Einheit unabhängige besondere Weihnachtsaktion „Licht an die Mauer“ vor. Und zwar sollten im Westteil Berlins entlang der „Schandmauer“, wie es hieß, Weihnachtsbäume aufgestellt werden, „deren Lichterglanz weit in den Sowjetsektor“ hineinstrahlen sollte. Die Aufstellungs- und Transportkosten pro Baum wurden mit 350 bis 400 DM berechnet, die die Kommunen in West-Deutschland zu diesem Zwecke spenden sollten. Am 15. Dezember 1961 beschloss der Lemgoer Hauptausschuss sich mit 100 DM (!) zu beteiligen, während der Kreis Lemgo 400 DM zusagte. Tatsächlich wurde dann an der Köpenicker Straße in Berlin-Kreuzberg ein beleuchteter Weihnachtsbaum aufgestellt, wie die erhaltene Fotoaufnahme belegt.