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Vor 30 Jahren

Provokante Performance auf dem Lemgoer Marktplatz – nackte Frau und "Hunde-Martha" zur Frauen-Kulturwoche 1992

Siglinde Kallnbach bei ihrer Performance auf dem Lemgoer Marktplatz, 2.3.1992 (Stadtarchiv Lemgo N 1/4938, Foto: Wolfgang Scherzer)

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Heute am 8. März ist Internationaler Frauentag, nicht nur in Lemgo. Vor 30 Jahren organisierten die Gleichstellungsbeauftragten der Städte Detmold, Lemgo, Blomberg und des Kreises Lippe die 3. Frauenkulturwoche vom 1. bis 8. März 1992 unter dem Motto „Nicht nur die Hälfte des Himmels…“, die verschiedene Formate (Theater, Lesung, Stadtführung, Ausstellung…) anbot. Für Lemgo stand am 2. März um 16 Uhr die Performance der Künstlerin Siglinde Kallnbach an, „die mit ihren Mitteln (u.a. Feuerkünstlerin) an die Opfer der Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit in Lemgo erinnern […]“ wollte. Veranstalter vor Ort war der „Arbeitskreis Maria Rampendahl“, der sich um die Aufstellung eines Denkmales an die letzte, weibliche Angeklagte der Lemgoer Hexenprozesse bemühte und die bisherige, v. a. folkloristische Sichtweise des Themas der Hexenverfolgung verändern wollte. Auf diese eher unspektakuläre Ankündigung folgte dann aber am 2. März eine regelrechte Provokation für die Lemgoer Bevölkerung.

Der Ablauf der Performance lässt sich ungefähr aus den Presseberichten, Leserbriefen und vereinzelten Fotoaufnahmen rekonstruieren. Demnach erschien die Künstlerin nackt und eine rote Fahne schwenkend im geöffneten Dachfenster des Ballhauses am Marktplatz, während „aus den Lautsprechern ohrenbetäubendes Geschrei, das wohl an die Folter von Hexen erinnern sollte, erklang [… ]“. Aus einem anderen Zeitungsbericht geht hervor, dass es sich bei den Stimmen um „die Stimme Hitlers und anderer Nazi-Größen“ handelte.  Später sehen wir auf den Fotos die Künstlerin auf dem Marktplatz mit der besagten Fahne. Laut der Lippischen Landeszeitung „[…] gab es bei vielen [der Zuschauer] die berühmte Gänsehaut – und das nicht nur durch den Anblick der unbekleideten Aktionskünstlerin angesichts kühler Temperaturen.“ Sieglinde Kallenbach ist dann auch mit einem Eimer Farbe (?) zu sehen, den sie sich auf ihren Körper verteilt hat. Im wohl zweiten Teil der Performance saß die in Lemgo bekannte Martha Dünker – wegen ihres dichten Umganges mit Hunden – auch nur „Hunde-Martha“ genannt – unter den Rathauslauben auf einem Stuhl, umgeben von Grablichtern, während sie von der Künstlerin in den Arm genommen wurde.

Die anschließenden Reaktionen der Zuschauer waren Kopfschütteln und Entsetzen, teilweise wurde sogar die Verletzung der Menschenwürde bei Martha Dünker befürchtet. Nur in wenigen Leserbriefen wird die Intention der Performance einigermaßen deutlich: die Verbindung der sogenannten Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit mit dem Terror und der Verfolgung unter den Nationalsozialisten im „Dritten Reich“. Der Lemgoer Marktplatz war in beiden Fällen durchaus Ort des Geschehens. Hier wurden die Urteile der Hexenprozesse in einem formalisierten Rahmen verlesen und hier begann die Deportation der Lemgoer Juden in die Vernichtungslager. Martha Dünker ist wohl auch selbst zu den NS-Opfern in Lemgo zu zählen, da sie in der Zeit vermutlich Opfer der Zwangssterilisation wurde. Sie selbst stimmte der Performance im Vorfeld allerdings eindeutig zu.

Ob die Lemgoer Zuschauer tatsächlich überfordert waren, wie es in einem Leserbrief hieß, bleibt offen. Jedenfalls war die äußere Form der künstlerischen Darstellung so irritierend, dass sie einem tieferen Verständnis eher im Wege stand. Über die Bedeutung der Frau als Opfer männlicher Normen wurde jedenfalls in keinem Artikel oder Leserbrief geschrieben.

Die veröffentlichte Dokumentation zur Frauen-Kulturwoche 1992 mit Zeitungsberichten und Leserbriefen - Auszug zur Lemgoer Performance (als PDF-Datei zum Download).