1.0 Der Blick von oben – Lemgo-Ansichten aus den 50’er Jahren

„Von dem Dreigestirn der schönen Städte Paderborn, Münster und Lemgo, sind die beiden ersten vom Kriege so furchtbar heimgesucht, daß man sie mit Kummer durchwandelt. Die dritte dagegen, Lemgo, hat äußerlich nicht im geringsten gelitten, sondern steht in alter Schönheit da. Deswegen wird sie jetzt und in Zukunft sicher noch mehr als früher das Ziel ungezählter Besucher sein.“ So der Werbeprospekt des städtischen Verkehrs- und Reisebüros Lemgo aus dem Jahr 1959. Die Lemgoer Innen- und Altstadt der 1950er hatte tatsächlich keine Kriegsschäden erlitten, so dass das mittelalterliche, durch zahlreiche Giebel geprägte Stadtbild noch vorherrschend war. Industrieanlagen hatten sich bis auf wenige Ausnahmen nur am Rande des historischen Zentrums angesiedelt. Neubauten waren nur vereinzelt im Stadtbild auszumachen. Die Lemgoer Stadtsilhouette war damit weiterhin ein beliebtes Fotomotiv, so dass auch Hermann Walzer auf die Türme der städtischen Kirchen kletterte, um entsprechende Aufnahmen anzufertigen.

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2.0 Nachwirkungen des Krieges in Lemgo

2.1 Flüchtlinge und Vertriebene in Lemgo

Durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz vom Juli und August 1945 wurde die „Umsiedlung“ der Deutschen, die durch den Zweiten Weltkrieg unter polnische oder russische Verwaltung geraten waren, beschlossen. Damit verloren etwa zwölf Millionen Menschen ihre Heimat. Erneut, wie bereits zu Beginn und während des Krieges durch das Deutsche Reich bewirkt, wurden große Bevölkerungsgruppen vertrieben.

Innerhalb Nordrhein-Westfalens waren Westfalen und Lippe die beiden Landesteile, die im großen Umfange Flüchtlinge und Vertriebene aufnahmen, jedenfalls wesentlich mehr als das stärker kriegszerstörte Rheinland. Nach der Flüchtlingszählung von 1947 waren insgesamt 826.617 Vertriebene nach NRW gekommen, davon 68 % nach Westfalen-Lippe und nur 32 % ins Rheinland.  Naturgemäß waren die ländlichen Räume mehr betroffen als die urbanen Gebiete, da diese einen deutlichen Verlust an Wohnsubstanz erlitten hatten.

Die Wohnraumlage war auch noch in den 1950er Jahren in Lemgo sehr angespannt, da auch die britischen Besatzungstruppen zusätzlich noch Wohnraum beanspruchten und die beschlagnahmten Häuser nur zögerlich zurückgaben.

Die Bereitschaft der ansässigen Bevölkerung diese „Gäste“ aufzunehmen, war begrenzt. Ließ sich kein Wohnraum mehr finden, mussten die Vertriebenen und Flüchtlinge in Baracken und anderen Notbehelfen untergebracht werden.

Die Identität der Flüchtlinge und Vertriebenen war in den ersten Nachkriegsjahren häufig noch durch die Hoffnung auf eine Rückkehr in die alte Heimat geprägt, was aber mit den Verhärtungen des Kalten Krieges immer unrealistischer wurde. Trotzdem fanden die jähr-lich stattfindenden „Tage der Heimat“ regen Zuspruch (bis Mitte der 1960er Jahre). Der BdV und die Landsmannschaften mit ihren kulturellen Angeboten und Brauchtums-Veranstaltungen boten einen kleinen Ersatz für die verlorene Heimat. Letztlich war die Annahme der neuen Heimat und dessen neuen Lebens notwendig, um „wirklich anzukommen“. Vertrieben und Flüchtlinge brachten sich in das wirtschaftliche, kulturelle und politische Leben der örtlichen Gesellschaft ein.

Die Neuankömmlinge brachten nicht nur andere Bräuche, Gepflogenheiten und Dialekte mit, sondern häufig auch eine abweichende Konfession. So verschoben sich in der Gemeinde Brake die traditionellen Konfessionsverhältnisse (vor 1939 überwiegend reformiert) ein gutes Stück zugunsten der katholischen Minderheit. Es wuchs die Notwendigkeit, ein eigenes Gotteshaus zu errichten, was mit der Kirche St. Josef inmitten eines zeitgleich entstandenen Neubaugebietes in teilweiser Eigenleistung realisiert werden konnte.

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2.2 Die Kameradschaftstreffen der Beobachtungsabteilung 6 in Lemgo

Zum 1. Oktober 1936 war in Lemgo die sogenannte Bleidorn-Kaserne (Kaserne am Spiegelberg) eröffnet und zeitgleich mit der Beobachtungsabteilung B 6 belegt worden. Der Lemgoer Bürgermeister Wilhelm Gräfer hatte sich insbesondere für den Garnisonstandort Lemgo eingesetzt. Die Beobachtungsabteilungen unterstützten die Artillerie mit verschiedenen Techniken der Licht- und Schallmessung, um feindliche Geschützstellungen zu lokalisieren und die eigene Treffergenauigkeit zu verbessern. Daneben wurden auch Beobachtungsballone eingesetzt.

Nach 1945 trafen sich die ehemaligen Wehrmachtssoldaten der Beobachtungsabteilungen – nicht nur der B 6 – erstmals 1951 in Lemgo, vorrangig im Gasthaus „Zur Krone“ (Röding) oder im Schützenhaus. Der ehemalige Kommandant der B 6 in Lemgo, Oberst Hans-Joachim Froben (1899 – 1976), war dabei wohl der entscheidende Organisator. Fester Bestandteil dieser Veteranentreffen war eine abendliche Gedenkfeier für die Gefallenen des Weltkrieges am Ehrenmal im stumpfen Turm (St. Johann). Nach Gründung der Bundeswehr 1955 nahm auch eine Beobachtungs-Batterie der Bundeswehr erstmals 1959 aktiv an diesem Treffen teil und nutzte die Gelegenheit auch zu einer Art Leistungs- oder Werbeschau.

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2.3 Rückkehr der Kriegsgefangenen nach Lemgo

Heimkehrer ist eine amtliche Bezeichnung für Soldaten, die während des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft gerieten und nach Ende der Gefangenschaft nach Deutschland zurückkehrten. Mit Kriegsende befanden sich rund 11,5 Millionen Deutsche in Kriegsgefangenschaft. Während die Kriegsgefangenen der Westmächte bis Ende 1948 spätestens heimkehrten, wurden die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion erst 1955/56 in die Heimat entlassen. In den 1950er Jahren erschienen zahlreiche Berichte, Romane und Zeitungsartikel, die sich mit dem Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen beschäftigten und dabei pauschal besonders die Grausamkeit und Unmenschlichkeit der sowjetischen Lager anprangerten. Die massenhafte Anklage und Verurteilung von deutschen Soldaten als Kriegsverbrecher wurde als zutiefst ungerecht empfunden. Das Entsetzen der deutschen Leser blendete aber auch die vorangegangenen Verbrechen der Wehrmacht und SS an den russischen Kriegsgefangenen und KZ-Insassen aus. Viele der aus der Gefangenschaft heimgekehrten Soldaten mussten sich auch in Lemgo erst wieder eine Existenz aufbauen. Besonders schwer war es für die sog. Spätheimkehrer, die erst nach 1948 entlassen worden waren. Zwischen 1949 und 1951 kehrten 145 Heimkehrer nach Lemgo zurück. Die letzten (Spät-)Heimkehrer wurden im Januar 1956 in Lemgo begrüßt. Ähnlich wie bei den Flüchtlingen und Vertriebenen gab es auch für diese Gruppe finanzielle Unterstützungsleistungen und Siedlungshilfen, für die sich der Verband der Heimkehrer massiv einsetzte.

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2.4 Britische Besatzer in Lemgo

Am 4./5. April 1945 kam das Kriegsende auch für Lemgo. Amerikanische Einheiten rückten in die Stadt ein. Die seit 1936 als Wehrmachtskaserne genutzt sog. Bleidorn-Kaserne am Spiegelberg wurden zunächst für zivile Einrichtungen der britischen Besatzungsmacht, wie der UNRRA oder der Beratungsstelle für Arbeits-, Wohnungs- und Siedlungswesen genutzt. Ende der 1940er Jahre wurden die Kasernengebäude mit britischen Militäreinheiten im Rahmen der NATO belegt. Neben den Kasernengebäuden wurden auch private Wohnungen und Häuser (einschließlich Hotels und Gaststätten) beschlagnahmt. Bis Juli 1947 umfasste dies über 90 Wohnhäuser. Bis zur Mitte der  1950er Jahre war die Frei- oder Rückgabe dieser Häuser immer wieder Gegenstand von Verhandlungen der städtischen Vertreter mit der Besatzungsmacht, dem Kreis und dem Land NRW. In Lemgo bildet sich eine Notgemeinschaft der Besatzungsverdrängten, die erheblichen Druck auf die Politik ausübte, in ihrem Sinne auf die Rückgabe des Wohnraumes zu drängen und zu Protesten aufrief. Die Stadt bemühte sich, Lemgo für den Bau von Ersatzwohnungen für die Besatzungsmacht im Rahmen der Finanzierungsprogramme Schäffer (benannt nach dem damaligen Bundesfinanzminister Fritz Schäffer) und Build aufnehmen zu lassen. Mit dem Baufortschritt aus diesen Programmen wurden auch zunehmend Wohnungen zurückgegeben, wenn auch – aus Sicht der Betroffenen - nur schleppend. Im Juli 1956 löste sich dann die Notgemeinschaft der Besatzungsverdrängten in Lemgo selbst auf, da die Rückgabe der beschlagnahmten Privathäuser weitgehend erfolgt und das Problem gelöst war. Weiterhin blieben aber der Sportplatz unterhalb der Kaserne und der Biesterberg als Truppenübungsplatz ( ab 1953) in der Verfügung der Briten. Das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Besatzern gestaltete sich nicht immer einfach, aber die britischen Einheiten waren offiziell um ein gutes Auskommen mit der deutschen Bevölkerung bemüht.

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2.5 Gefallenenehrung und –gedenken in Lemgo

Die Ehrung der im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten war der örtlichen Bevölkerung zumeist ein besonderes Anliegen. In Lemgo geschah diese Ehrung an drei verschiedenen Orten und auf verschiedene Weisen. Neben dem sog. Ehrenfeld auf dem Friedhof Rintelner Straße, auf dem die in Lemgo verstorbenen Soldaten (zumeist in den Lazaretten) bestattet wurden, gab es bis 1955 kein Ehrenmal für die Gefallenen des letzten Weltkrieges in Lemgo. 1952/53  nahmen sich die Nachbarschaften (siehe Thema 3.6) unter dem Vorstand des Oberst a. D. Hans Joachim Froben (ehemals Beobachtungsabteilung B 6, siehe Thema 2.2) dieser Aufgabe an. Das bereits existierende Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Stumpfen Turm von St. Johann sollte durch den Architekten Ernst Pethig, der auch für das erste Denkmal verantwortlich war, erweitert werden. Ein Ehrenmalausschuss kümmerte sich um die Realisierung. Am Totensonntag des Jahres 1955 konnte das erweiterte Denkmal schließlich eingeweiht werden. Die Erweiterung bestehender Kriegerdenkmäler war eine verbreitete Vorgehensweise, der man auch in den Lemgoer Ortsteilen häufig folgte. Das Denkmal am stumpfen Turm wurde in den 50er Jahren zu einem festen Programmpunkt offizieller Veranstaltungen der Stadt, der Lemgoer Vereine und der Treffen der Beobachtungsabteilung B 6. Da der Platz am Ehrenmal nicht ausreichte, alle Namen der Gefallenen aufzunehmen, wurde von Froben die Idee eines Ehrenbuches mit kurzen biographischen Angaben der Soldaten und jeweils einem Foto vorgebracht. Ein solches Projekt war bereits während des Zweiten Weltkrieges von Bürgermeister Gräfer initiiert worden, ohne abgeschlossen werden zu können. Auf die Vorarbeiten griff man zurück. Die künstlerische Gestaltung des Ehrenbuches übernahm der Grafiker Eduard Hiltgen. Am 15.11.1959 legte man das Ehrenbuch erstmals in der Gastwirtschaft Röding in der Leopoldstraße öffentlich aus. Spätere Standorte waren die Kirche St. Nicolai und das Rathaus. Anfang der 1990er Jahre kam es zu Diskussionen über dieses Ehrenbuch, das auch Angehörige der Waffen-SS zeigt, was in den 1950er Jahren keinen Anstoss erregt hatte. Heute befindet sich das Ehrenbuch in der Friedhofskapelle an der Rintelner Straße.

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3.0 Politik und Gesellschaft

3.1 Die Wiedervereinigung kommt – auch in Lemgo?

Mit maßgeblicher Unterstützung des Zeitungsverlegers und Herausgebers Axel Springer wurde 1959 die Aktion „Macht das Tor auf!“ gestartet, die sich gegen die zunehmende Abschottung der DDR (im damaligen Sprachgebrauch SBZ oder Sowjetzone) und die ständigen Kontrollen am Brandenburger Tor in Berlin wandte. Im Rahmen der Aktion sollten Abzeichen mit dem Symbol des Brandenburger Tores verkauft werden. Der Erlös kam dem 1954 gegründeten „Kuratorium Unteilbares Deutschland“ zugute, das sich überparteilich für die Wiedervereinigung Deutschlands in öffentlichen Aktionen und Bekanntmachungen einsetzte. Die Aktion „Macht das Tor auf!“ fand auch Unterstützung in Lemgo bei Politik, Verwaltung und in den Betrieben und zeigt die Bedeutung der „deutschen Frage“ in den 50‘er Jahren.

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3.2 Der Abteigarten in Lemgo - ein öffentlicher Park?

Nach dem Tod der letzten Äbtissin des Stiftes St. Marien Prinzessin Carola zur Lippe (geb. 1873) am 23. April 1958 wurde die Frage diskutiert, was nun mit dem sog. Abteigebäude in der Breiten Straße und dem großzügigen, dahinter gelegenen Park geschehen sollte. Zu Lebzeiten der Äbtissin war der Garten hinter ihrer offiziellen Residenz nicht öffentlich zugänglich und durch Mauern eingefasst. Die Stadt Lemgo äußerte bereits im Mai 1958 Interesse an den Abteigebäuden und dem Abteigarten. Der Landesverband Lippe (Rechtsaufsicht für das Stift St. Marien) in Gestalt des Verbandsvorsitzenden und gebürtigen Lemgoer Heinrich Drake zeigte sich diesem Ansinnen der Stadt gegenüber aufgeschlossen. Vorläufig sollte der Abteigarten für die Bürger geöffnet werden, bis man sich von Stadt und Landesverband handelseinig geworden sei. Im Rahmen des Schützenfestes im August 1958 öffnete Drake in einem feierlichen Akt und mit einer Rede den Abtei-garten, was in der Bevölkerung als dauerhafte Überlassung des Grundstückes an die Stadt interpretiert wurde. Dieser Ansicht widersprach Drake aber später, was als Wortbruch in der Presse diskutiert wurde. Die Bedingungen unter denen die Gebäude und der Garten an die Stadt endgültig übergehen sollten, waren Gegenstand langwieriger und zäher Verhandlungen, bis man sich im März 1960 in einem Kaufvertrag einigen konnte. Die ursprüngliche Hoffnung der Stadt, die Anlage als Ganzes mehr oder weniger kostenlos zu erhalten, hatte sich zerschlagen.

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3.3 Worüber man in Lemgo spricht…

In der Westfalen-Zeitung / Lippische Rundschau erschien ab Ende Oktober 1950 bis Ende April 1965 eine besondere Rubrik: Worüber man in Lemgo spricht. Die Erscheinungsweise war wöchentlich, jeweils in der Samstagsausgabe. Die aktuellen Entwicklungen in Lemgo und die Entscheidungen von Politik, Verwaltung und Dritten wurden kritisch, ironisch und meinungsstark kommentiert. Die Formulierungen waren meist knapp gehalten und erschöpften sich teilweise nur in Andeutungen, die aber zeitgebunden immer verstanden wurden. Der Verfasser war lange Zeit der Lemgoer Journalist Ernst Rottmann (1904 – 1978), Kürzel „ero“. Später scheinen andere Verfasser unter Pseudonym gewechselt zu haben.

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3.4 Der Kuhgraben in Lemgo – ein unpassender Straßenname?

Im Frühjahr 1958 schlug die Umbenennung der Straße „Kuhgraben“ in „Franz-Liszt-Straße“ durch einen Beschluss des Hauptausschusses der Stadt Lemgo hohe Wellen in der Öffentlichkeit und in der Presse. Eine Unterschriftenaktion der an der fraglichen Straße ansässigen Geschäftsleute hatte die Namensänderung gefordert und eine Mehrheit bei den Anwohnern gefunden. Der Verein Alt Lemgo und besonders sein Vorsitzender Dr. Karl Meier lehnten diese Umbenennung rundweg ab und machten „Auswärtige“ für eine solche „geschichtsvergessene“ Entscheidung verantwortlich. Straßen- und Flurnamen als Kulturgut seien schützenswert. Aller Protest half nichts, die Straße trägt bis heute den neuen Namen.

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3.5 Der Wochenmarkt in Lemgo – ein Streitpunkt?

In der Nachkriegszeit gab es wiederholt Beschwerden, dass der Lemgoer Wochenmarkt neben den landwirtschaftlichen Erzeugnissen auch sonstige Waren von Hausierern anbietet. Dadurch würde der so schon  knappe Platz auf dem Markt zusätzlich eingeschränkt und eine unnötige Konkurrenz für die ortsansässigen Geschäftsleute erzeugt, die ihre Waren nicht zu den günstigen Preisen der mobilen Händler anbieten könnten. Der Rat der Stadt beschloss 1951 eine Einschränkung der zulässigen Waren für den Wochenmarkt (in Abänderung der Marktordnung von 1922), was durch die Gewerkschaften und die Belegschaften Lemgoer Unternehmen mit Widerspruch beantwortet wurde. Man sah sich einer preiswerten Bezugsquelle für Waren jeglicher Art beraubt. Durch den zunehmenden Automobilverkehr in den 50’er Jahren wurde der Lemgoer Marktplatz eingeengt. Eine Lösung war die Verlegung auf den Kastanienwall 1951. Hiergegen wandten sich aber die Markthändler, die die ungünstige Lage kritisierten und zurück an den alten Standort wollten. Dies gelang, wenn auch aus anderen Gründen, jedoch erst 1979 wieder.

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3.6 Nachbarschaften in Lemgo – ein Stück direkte Demokratie?

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in zahlreichen deutschen Kleinstädten sog. Nachbarschaften. Die Begründer und Ideengeber dieser „Nachbarschaftsbewegung“ waren durchgehend ehemalige Mitglieder des 1920 von Artur Mahraun (1890 – 1950) ge-gründeten  „Jungdeutschen Ordens“. Der Orden war in der Weimarer Republik ein Wehr-verband gewesen, der sich gegen die Parteiendemokratie und die Massengesellschaft wandte und stattdessen eine Gliederung des Staates in politische Nachbarschaften favorisierte. Ursprünglich sollte jeweils ein Führer an der Spitze einer Nachbarschaft stehen, was aber nach 1945 nicht mehr aufgegriffen wurde. Der „Parteienstaat“ sollte nun auch nicht mehr abgeschafft, sondern durch die Nachbarschaften ergänzt werden. Die ambitionierten Ziele des „Jungdeutschen Ordens“ wurden aber in der Praxis der 50’er Jahre durch konkrete Vorhaben zur Verbesserung der unmittelbaren Lebensumstände ersetzt. Die Nachbarschaften mischten sich in die Lokalpolitik ein, artikulierten den „Bürgerwillen“ und formulierten Interessen. Häufig nahmen sie eine Mittlerfunktion zwischen Einwohnern und Verwaltung ein. Gegen Ende der 50’er Jahre lösten sich die meisten Nachbarschaften in der BRD auf, bis auf Lemgo, wo sie im Zuge der kommunalen Gebietsreform 1969/70 noch mal den Protest gegen die Neuordnungen von Stadt und Gemeinde aufgreifen konnten. Heute gibt es in Lemgo von den ursprünglich 10 Nachbarschaften nur noch die Nachbarschaft Laubke-Pahnsiek.

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3.7 Geschlechterbilder nicht nur in Lemgo

Das Frauenbild der 1950er Jahre war von der Idealvorstellung der Ehefrau, Hausfrau und Mutter geprägt, die sich um den Ehemann, die Kinder und das Heim sorgte. Nach den turbulenten und zerstörerischen Jahren des Krieges, der auch die Frauen vereinnahmt hatte, wurde der Rückzug in das private Heim angestrebt. Diesem Idealbild konnten aber nicht alle Frauen entsprechen, da viele als Kriegerwitwen lebten oder zunehmend auch in Scheidung. Diese Frauen mussten erwerbstätig sein. Im Vereinswesen konnten sich die Hausfrauen auch in Lemgo organisieren und damit eine öffentliche Rolle übernehmen. Die Vermittlung hauswirtschaftlicher Kenntnisse, die Unterstützung von Familien, bei denen die Mutter „ausgefallen“ war und Fragen der Kindererziehung prägten das Vereinsleben des Hausfrauenbundes. Der Schutz der Kinder und Heranwachsenden vor den Gefahren der Moderne war nicht zuletzt Aufgabe der Frau. Sich als Frau zu pflegen und attraktiv zu kleiden, war fast schon eine Verpflichtung, die aber nicht der Frau selbst galt, sondern dem Ehemann gefallen sollte. Modeschauen in Lemgo vermittelten zumindest einen kleinen Eindruck vom Flair der weiten Welt.

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4.0 Kultur und Heimatpflege

4.1 Lemgoer Festspiele – zwischen Profis und Laien

Als Bestandteil der „Lippischen Heimattage“ 1951 gab es erstmals (bereits 1939 hatte es an gleicher Stelle eine Aufführung mit Szenen aus der Lemgoer Stadtgeschichte von Karl Meier vor NS-Prominenz gegeben) eine Freilichtaufführung auf dem Lemgoer Marktplatz vor der Kulisse des historischen Rathauses. Durch eine Schauspieltruppe des Landestheaters Detmold wurde „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal aufgeführt. Im nächsten Jahr folgte – losgelöst von den „Heimattagen“ - der „Urfaust“ von Johann Wolfgang Goethe und 1953 „Romeo und Julia“ von William Shakespeare. 1953 wurden die Aufführungen durch eine Kunstausstellung und mehrere musikalische Darbietungen an unterschiedlichen Orten ergänzt. Damit hatte sich eine regelrechte Festspieltradition herausgebildet, die aber auch finanzielle Opfer der Stadt forderte. Für 1954 wagte man das Experiment mit einer Lemgoer Laienspielschar und dem Shakespeare Stück „Was ihr wollt“. Die meisten Vorstellungen mussten wegen Regen ausfallen und die beiden einzigen realisierten Aufführungen erhielten eine harsche Theaterkritik in den Zeitungen. Die Stadt Lemgo griff in Folge das Projekt „Rathausfestspiele“ nicht mehr auf. Die angeschafften Kostüme wurden später noch gelegentlich ausgeliehen.

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4.2 Lippische Heimattage 1951 – eine Selbstdarstellung

Nachdem sich das Land Lippe 1947 dem neugegründeten Bundesland Nordrhein-Westfalen angeschlossen hatte, wurden 1951 erstmals die Lippischen Heimattage in Lemgo und Detmold veranstaltet, um noch einmal auf die Bedeutung und Leistungsfähigkeit dieses ehemaligen Kleinstaates hinzuweisen. Kernstück der mehrtägigen Veranstaltung war die Leistungsschau der lippischen Wirtschaft (Handwerk, Industrie und Landwirtschaft)  „Lippe schafft und lebt“ in einem großen Zelt in Lemgo. Begleitet wurde dieser Kern mit Theateraufführungen, musikalischen Darbietungen, einem historischen Umzug mit Motivwagen und Festansprachen Prominenter wie des Bundespräsidenten Heuss oder des NRW-Ministerpräsidenten Arnold. Die Lippischen Heimattage wurden später in einem 5-Jahres-Rhythmus in wechselnden lippischen Städten wiederholt. Sie erhielten so - nach dem Verlust der staatlichen Eigenständigkeit - ein lippisches Bewusstsein wach.

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4.3 Außerschulische Bildungsangebote - VHS & Co

Die Lemgoer Volkshochschule, die bereits in den 20er Jahren erstmals begründet und in der NS-Zeit aufgelöst worden war, wurde 1946 wiederbegründet. Monika Tintelnot, geb. Plessner, wurde 1950 die erste hauptamtliche Leiterin der Volkshochschule, der nach ihrem Fortgang nach Göttingen bereits 1951 Joachim Huppelsberg im Amt nachfolgte (bis 1971). Er führte die Arbeit von Monika Tintelnot fort, die die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Kirchen, örtlichen Schulen und den Universitäten gelegt hat. Die Beschäftigung mit Künstlern, Kunst und Kultur der verlorenen „Ostgebiete“ wurde in einer eigenen Arbeitsgemeinschaft zusammengefasst. 1957 wurden dann erstmals die jährlichen Universitätstage in Kooperation mit der Universität Göttingen durchgeführt. Renommierte Hochschullehrer sprachen über ein breites Spektrum an (wissenschaftlichen) Themen für ein breites Publikum. In der Lemgoer Buchhandlung Weege (Mittelstraße 84) wurden Lesungen und Kulturabende veranstaltet, die zu einer festen, kulturellen Größe in der Stadt zählten. Ein offener Gesprächskreis - das „Forum der Jugend“ und der „Filmclub Lemgo“, der hochwertige Spiel-, Kultur- und Dokumentarfilme für Club-Mitglieder zeigen sollte, ergänzten das außerschulische Bildungsangebot in Lemgo.

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4.4 Lemgoer Orgeltage – ein Kulturleuchtturm

Walther Schmidt (1913 – 1991), gebürtig aus Hamburg, vor dem Krieg in Erfurt lebend, kam 1945 nach viermonatiger Kriegsgefangenschaft als Organist an die Kirche St. Marien in Lemgo. Die 1945 gegründete Marienkantorei verdankt ihre Entstehung dem Engagement Walthers und entwickelte sich aus einem bestehenden Musik-Jugendkreis und dem Kirchenchor. Orgelmusiker, Chor und Orchester wurden schnell zu einem festen Bestandteil der Musikkultur in der Stadt. Seit 1950 organisierte Walther Schmidt die "Lemgoer Orgeltage", nachdem die historische Schwalbennestorgel in der Marienkirche restauriert worden war. Die auswärtigen Musiker aus Europa und Übersee, die zu den Orgeltagen nach Lemgo reisten, waren zumeist bekannte und angesehene Künstler. Die Marienkantorei unternahm auch schon in den 50’er Jahren auf Einladungen Auslandsreisen in die Niederlande und in die Schweiz, später sollten Frankreich, Italien, England und die USA folgen.

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5.0 Vereine und Freizeit

5.1 Kläschen – alle Jahre wieder

Der bis in die mittelalterliche Gründungsphase der Stadt zurückreichende 4tägige Jahr-markt „Kläschen“ (um das Fest des Hl. Nikolaus Anfang Dezember) in Lemgo ist auch in den 50’er Jahren ein großer Anziehungspunkt. Die ältere Bedeutung als Markt für die ländliche Bevölkerung aus der näheren und weiteren Umgebung tritt allerdings weiter zurück. Im Vordergrund steht zunehmend der „Rummel“ mit zahlreichen, modernen und aufwendigen Fahrgeschäften und Buden. Die Enge auf den angestammten Plätzen von Marktplatz, Mittelstraße, Kastanienwall und Regenstor führt immer wieder zu Diskussionen und Versuchen, „Kläschen“ zu verlegen, was aber dauerhaft – zum Glück – nicht gelingt. In den 50‘er Jahren zählt auch noch der traditionelle Umzug der Schüler der privaten Malerschule Lemgos in ihren weißen Kitteln und Kostümen zum gewohnten Bild des Kläschenmarktes.

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5.2 Kleingärten – Glück in der Laube

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auch in Lemgo die Idee der Kleingärten aufgegriffen, nicht zuletzt um den Flüchtlingen und Vertriebenen die Eigenversorgung aus gärtnerischem Anbau zu ermöglichen, aber auch der Bevölkerung eine Möglichkeit der Erholung zu bieten. Die Kleingartenanlage am Vogelsang wurde mit Unterstützung der Stadt durch den Lemgoer Kleingartenverein e.V. Anfang der 50’er Jahre realisiert. Ursprüngliches Grabeland, das nur jährlich verpachtet wurde, konnte so für eine dauerhafte und gemeinnützige Gartenanlage in Pacht genutzt werden. Die Anlage am Vogelsang nahm in den 50’Jahren auch an entsprechenden kleingärtnerischen Wettbewerben teil. Später folgten weitere Kleingartenanlagen wie am Lüttfeld oder am Walkenfeld in Brake.

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5.3 Tennisplätze vor dem Schützenheim

1953 einigten sich die Stadt Lemgo und die Schützengesellschaft über einen Geländeaustausch an der Leopoldstraße. Die Schützengesellschaft kaufte den sog. Apothekergarten neben dem damaligen Gasthaus „Zur Krone“ (Röding), heute Parkplatz vor dem Discounter Netto, um diesen an den Tennisverein „Blau-Weiß Lemgo“ zu verpachten. Auf dieser Fläche wurden drei Tennisplätze errichtet. Die Stadt erhielt im Gegenzug den Grünstreifen an der Zufahrt zum Schützenhaus. Bis in die 1980er Jahre wurde dort noch Tennis gespielt.

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5.4 Paddeln auf Bega & Co – der Kanuclub in Lemgo

Der Kanu- und Segelclub Lemgo wurde offiziell 1949 gegründet. Seine Ursprünge reichen aber bis in die 1920‘er Jahre zurück. Zunächst hatten begeisterte „Wasserwanderer“ als Jugendliche ab 1928 selbst Faltboote gebaut und zusammen die ersten Fahrten unternommen. 1930 wurde diese Gruppe, unter denen sich auch viele Turner befanden, Teil des TV Lemgo von 1863 e. V. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat die Kanuabteilung wegen ihrer gewachsenen Größe aus dem TV aus und bildet seitdem einen eigenen Club. Im Zusammenhang mit dem Bau der neuen Badeanstalt in Lemgo, an der Grenze zu Brake, konnte dort in nächster Umgebung ab 1952 in wesentlicher Eigenleistung der Mitglieder auch ein Bootshaus für den Club realisiert und 1954 nach vielen Schwierigkeiten eingeweiht werden. Der Kanu- und Segelclub ist damit ein Beispiel für einen Verein aus „wilder Wurzel“, der erst später einem etablierten Verein eingegliedert wurde und feste Strukturen erhalten hat.

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5.5 Gemütliche Nascherei – Lemgoer Cafés

In den 50‘er Jahren waren die damals noch zahlreichen Lemgoer Cafés, die sich häufig aus Bäckereien und Konditoreien entwickelt hatten, beliebte Treffpunkte für Jung und Alt. Das Café Kracht (Breite Straße 66) am Waisenhausplatz wurde erst im Jahre 1955 durch Umwandlung bis dahin anderweitig genutzter Räume eingerichtet. 1998 wurde der Betrieb eingestellt. Das Café Kneuper in der Mittelstraße 6 öffnete bereits 1930 seine Pforten, bis sie 1970 für immer schlossen. Das Café Held war ursprünglich in der Echternstraße 71 und wurde aus familiären Gründen 1946 in die Mittelstraße 91 verlegt (ehemals Hofkonditorei Eikmeier). 1972 verkaufte die Witwe des letzten Inhabers Fritz Held das Haus. Damit endete die Tradition auch dieses Cafés.

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5.6 Lemgo im Film – Der tolle Bomberg

Im Mai 1957 kündigten sich Dreharbeiten zum Film „Der tolle Bomberg“ in der Lippischen Landeszeitung an. Der Film basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage Josef Wincklers aus dem Jahr 1923 und schildert die Schelmenstreiche des reichen Münsterländers Bomberg. Prominente Schauspieler wie Hans Albers und Gerd Fröbe wirkten mit. Drehorte im Lippischen waren zunächst nur Schloss Vinsebeck (Bad Meinberg) und Schwalenberg. Lemgo als Drehort kam vermutlich eher spontan hinzu. Nach einer vorhergehenden Presseankündigung  war es dann am 31. Mai 1957 tatsächlich soweit. Die Filmcrew der Arca Filmproduktion GmbH traf in Lemgo ein und drehte auf dem Lemgoer Marktplatz einige Szenen mit etwa 100 Komparsen, wobei der Sturz einer Puppe (stellvertretend für Bomberg) aus großer Höhe von einer Feuerwehrleiter besonders spektakulär war. Hans Albers gab zahlreiche Autogramme. „Der tolle Bomberg“ entsprach in seiner filmischen Struktur mit komischen Verwechslungen, Liebesgeschichten und Aufnahmen unzerstörter, ländlicher Heimat ganz dem Geschmack der Zeit. Der deutsche Kino- und Unterhaltungsfilm boomte noch in den 50’er Jahren, auch wenn sich bereits erste Zeichen der Krise zeigten.

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6.0 Bauliche Entwicklungen

6.1 Das Lemgoer Stadtbild – zwischen Erhalt und Neubauten

Der 1920 gegründete und dem Heimatschutzgedanken verpflichtete Verein Alt Lemgo e. V. kämpfte in den 50’er Jahren vehement für den Erhalt der historischen Hausfassaden und gegen die Tendenz, die Erdgeschosse der Geschäftshäuser mit breiten Schaufenster-fronten auszustatten. Der Verein setzte sich zudem für die Offenlegung und Sichtbarmachung der Fachwerkarchitektur ein. Gleichzeitig gab es in der Stadt einen Bauboom, der sich zwar vor allem außerhalb des historischen Stadtkerns zeigte, aber in einzelnen Fällen auch das Stadtzentrum betraf. Prominentes Beispiel war dabei die Stadtsparkasse am Markt, die das benachbarte Gebäude im historistischen Stil 1952 ankaufte und 1956 als vollständig umgestalteten Anbau nutzte. Die Kreissparkasse Lemgo ließ an der Mittelstraße einen wuchtigen Neubau errichten, wofür auch historische Bausubstanz weichen musste. Die Pfarrkirche St. Pauli an der Echternstraße erhielt 1953/54 repräsentative Doppeltürme an der Straßenseite. 1955 brannte am zweiten Weihnachtstage das Gotteshaus ab und musste mit zahlreichen Spenden wieder erneuert werden. Ein städtisches Großbauprojekt war 1953 die neue Badeanstalt am Regenstor (heute: Eau-Le), die die alte Flußbadeanstalt an der Bega ersetzen sollte. Aus dem Verkauf des stadteigenen Hotels „Zum Stadtwappen“ am Markt konnte ein Teil der Bausumme finanziert werden. 1954 fanden hier bereits die Westdeutschen Spring- und Schwimmmeisterschaften statt.

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6.2 Verkehrsplanung in Lemgo – Herausforderung Automobil

Der zunehmende Automobilverkehr in den 50’er Jahren stellte auch Lemgo, insbesondere mit seiner historischen Bausubstanz und Struktur, vor neue Herausforderungen. Der Aspekt der Verkehrssicherheit war dabei besonders kritisch. 1954 wurden 185 Verkehrsunfälle mit 3 Toten und 108 Verletzten in Lemgo registriert. Diese Zahlen gingen auch in den nachfolgenden Jahren kaum zurück bzw. stiegen sogar zeitweise an. Lösungen sah man vor allem in der Schaffung von Verkehrsschildern, Ampelanlagen, Einbahnstraßen, Parkverboten, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Appellen an die Verkehrsteilnehmer. Als besonders gefährlich erwies sich die in beide Richtungen befahrbare Mittelstraße als Hauptverkehrsstraße, trotz des Einsatzes von insgesamt 94 Verkehrsschilder (1952).  Eine einstweilige Entlastung der Mittelstraße erreichte man durch den Umbau des Verkehrsknotenpunktes bei den Sieben Linden und die Umleitung durch die Regenstor- und Schuhstraße. 1955 wurden die Mittelstraße und Echternstraße zu Einbahnstraßen erklärt und die Straßenkreuzungen mit Überwegen für Fußgänger versehen. Ab 1953 erkannte man die Notwendigkeit einer umfassenden -  auch Brake einschließenden - Leitplanung, die notwendige Umgehungsstraßen vorsah, wogegen sich 1954 aber Bürgerproteste er-hoben. Die Stadt passte die Umleitung so an, dass nicht mehr die Lagesche Straße einbezogen wurde, sondern sie deutlich weiter südlich verlief, bis sie dann wieder in der Hamelner Straße einmündete. Die Problematik der Verkehrsplanung sollte auch in den 60’er Jahren nicht an Bedeutung verlieren.

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6.3 Bauen in Lemgo – zwischen Wohnungsnot und Siedlungswesen

In den 1950’er Jahren herrschte in Lemgo akute Wohnungsnot. Zwischen 1939 und 1950 stieg die Lemgoer Bevölkerung durch Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene um fast 43 Prozent. Die britische Besatzungsmacht gab dagegen beschlagnahmten Wohnraum nur zögerlich frei. Zur Vermeidung von Spekulationen mit knappen Wohnraum galt in der BRD bis Anfang der 60‘er Jahre ein zwangsweises Wohnraumbewirtschaftungsgesetz, das die Vertragsfreiheit von Mieter und Vermieter stark einschränkte und Wohnungen nach amtlicher Zuteilung an Mieter vergab. Die Wohnungssuchenden wurden in Dringlichkeits-Kategorien eingeteilt (Flüchtlinge, Barackenbewohner, kinderreiche Familie usw.) und die dringenden Fälle erhielten in Lemgo ab 1951 eine „rote Karte“, die sie berechtigte, sich direkt bei den Wohnungseigentümern um ein Mietverhältnis zu bemühen, ohne Einschaltung des Wohnungsamtes.  Um Abhilfe bei der Wohnungsnot zu schaffen, wurden nach der Währungsreform 1948 Neubauwohnungen und der Ausbau von Altbauwohnungen massiv durch staatliche und kommunale Kredite und Zuschüsse gefördert. Baugelände wurde in Lemgo bereitgestellt und durch Straßen, Kanalisation und Versorgungsleitungen erschlossen. Die schon vor dem Zweiten Weltkrieg bestehende Idee des Siedlungsbaus wurde wieder verstärkt aufgegriffen. Kleinsiedlungen am Rande des Lemgoer Stadtkerns mit typisierten Siedlungshäusern und einem großzügigen Nutzgarten zum landwirtschaftlichen Nebenerwerb sollten zur Lösung der Wohnraumfrage beitragen und die wirtschaft-liche Existenz der Siedler absichern. Häufig wurden die Siedlungshäuser auch in handwerklicher Eigenleistung errichtet. So entstanden Siedlungen wie die Luherheide oder „Glaube und Tat“ am Stucken in Brake.

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7.0 Schule und Jugend

7.1 Das EKG feiert – 375 Jahre Gymnasium in Lemgo

Im Jahr 1958 nahm das Engelbert-Kaempfer-Gymnasium das zwar nicht historisch korrekte aber traditionelle Gründungsjahr 1583 zum Anlass einer 3tägigen Jubelfeier zum 375jährigen Bestehen der Schule. Gemeinsam entwickelten Lehrer und Schüler ein Festprogramm. Der erste Tag stand dabei ganz im Zeichen der Gefallenenehrung am Stump-fen Turm und der Enthüllung einer neuen Gedenktafel aus Mosaiksteinen des Kunstlehrers Schulz-Sorau für die gefallenen Schüler des Ersten und Zweiten Weltkrieges im Schulgebäude am Rampendal. Bei der Enthüllung der Gedenktafel gedachte der Oberstudienrat Wiemann aus Hannover des Opfersinns der gefallenen Soldaten und schloss seine Rede mit der Hoffnung: „Möge die Sonne sieghaft aufgehen über den Gräbern unserer Kameraden“. Nach einem Fackelzug durch die Stadt folgten am nächsten Tag der Festakt im Schützenhaus und ein bunter Nachmittag in der Schule mit sportlichen und kulturellen Aktivitäten sowie Ausstellungen aus dem Hobby- und Lebensbereich der Schüler. Dreimal wurde die in den 50’er Jahren populäre Jugendoper „Der Igel als Bräutigam“ während der Festtage aufgeführt.

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7.2 Der Fall Werner in Lemgo – ich verbiete euch zu gehorchen

Der Fall des EKG-Schulleiters Dr. Ernst Werner (1907 – 1986) erregte in den 50’er Jahren die Gemüter der Lemgoer und spaltete die Stadtgesellschaft in Anhänger und Gegner. Nach dem Tode des Amtsvorgängers Dr. Ulrich Walter 1948 leitete Werner das Jungengymnasium von 1949 bis 1957. Erste Kritikpunkte an seiner Person und seinem Verhalten als Schuldirektor und Lehrer wurden 1950 bei der Bildung des schulnahen Filmclubs Lemgo laut, der zu sehr ostdeutsche bzw. sowjetische Filmwerke berücksichtige. Dahinter vermutete man den „polnischer Sprosser“. Die Anspielung auf die „polnische“ Herkunft Werners aus Lodz wurde sicherlich von den Lemgoern verstanden. 1951 kritisierte er bei der Abiturientenfeier öffentlich die Lemgoer als Nazis, die sich u. a. den Veit Harlan Film „Unsterbliche Geliebte“ angeschaut hatten, was die so geschmähten Lemgoer weit von sich wiesen. Der Regisseur Harlan hatte in der NS-Zeit den antisemitischen Propagandafilm „Jud Süss“ 1940 gedreht. Gegen seine Nachkriegsarbeit regte sich in den Großstädten der BRD massiver Protest. Im Ost-West-Konflikt der 50’er Jahre wurde Werner von seinen Kritikern, ausgesprochen oder unausgesprochen, im sowjetischen bzw. kommunistischen Lager verortet, während seine Befürworter die Hinterfragung von Autoritäten, seine beißende Ironie und die Anhaltung der Schüler zum eigenständigen Denken gegen Obrigkeitsglauben betonten. In der örtlichen Presselandschaft war die Lippische Rundschau gegen Werner, die Freie Presse für ihn und die Lippische Landeszeitung einigermaßen um Neutralität bemüht. Seine Kompetenz als Lehrer und Schuldirektor wurde neben den politischen Vorwürfen gleichfalls in Frage gestellt. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung wurde 1957/58 erreicht, nachdem sich Werner im März 1957 hatte „krankheitshalber“ beurlauben lassen. Bis 1959 war das EKG ohne Schulleiter, der Vertreter Dr. Martin Klein nahm die Amtsgeschäfte kommissarisch war. Forderungen aus der Schülerschaft nach einer Rückkehr Werners wurden laut, der aber nach Bochum versetzt wurde. Nachfolger wurde 1959 Dr. Wilhelm Kemper, der den Schulfrieden wiederherstellen sollte. Kemper war NSDAP-Mitglied, SS-Hauptsturmführer und Leiter einer „Napola“ während des Zweiten Weltkrieges gewesen,  was jedoch erst in den 1980er Jahren öffentlich bekannt wurde. Bei Kemper konnte man sich des Anti-Kommunismus zumindest sicher sein.

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7.3 Besonderheiten im Lemgoer Schulalltag

Die in den 50‘er Jahren noch übliche 6-Tage-Schulwoche bot den Schülern und Schülerinnen wenig Abwechslung. Herausragende Ereignisse - neben den organisierten Schul-feiern - waren natürlich Ausflüge, Exkursionen oder Wandertage. So griff die Abiturzeitung des EKG eine Fahrt in das damals noch nicht durch eine Mauer geteilte Berlin auf, mit einem Empfang bei den „Sozialisten“. Solche Fahrten waren in den 50’ern noch Außergewöhnlich. Noch außergewöhnlicher, wenn die Schüler im Rahmen eines Austausches ins Ausland, nach Frankreich oder Großbritannien fahren konnten. Beides Reiseziele, die sonst außerhalb der Möglichkeiten der meisten Bundesbürger lagen. Daran teilzunehmen, war eine Auszeichnung. Die regulär getrennte Unterrichtung von Jungen und Mädchen führte natürlich dazu, dass das jeweils andere Geschlecht großes Interesse erregte und die wenigen gemeinsamen Veranstaltungen aus ganz anderen Gründen von den Schülern besucht wurden, als offiziell erwartet oder erwünscht….

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7.4 Aspekte einer Jugendkultur in Lemgo

Aussagen zu einer Lemgoer Jugendkultur lassen sich nur schwer machen. In den Jahreschroniken für Lemgo von Karl Meier werden ein Sissi-Ball im August 1958 und ein Teenager-Club im Juli 1958 genannt, ohne dass wir dazu nähere Informationen hätten oder wir sagen könnten, dass die Sissi-Begeisterung repräsentativ für Jugendliche gewesen sei. Kinder und Jugendliche waren in ihrer Freizeit, wenn es sich nicht gerade um Kino, Spielen auf der Straße oder kulturelle Veranstaltungen handelte, stark in Vereinen eingebunden. Dort bestimmten aber die Älteren, die Erwachsenen den Weg und eine eigene Jugendkultur konnte sich in einem solch kontrollierten Umfeld nur schwer entwickeln. In den Lemgoer Sportwerbewochen ab 1954 wurde auch aktiv um die Jugend geworben, um sie vor den drohenden „Gefahren an Leib und Seele“ zu bewahren. Der Verein als sicherer Hort vor den Bedrohungen der Moderne. Das Kinderschützenfest 1953 öffnete den Traditionsverein der Schützen zwar für eine jüngere Zielgruppe, aber die Lemgoer Lehrerschaft sah den Umgang ihrer Schüler mit (Holz-)Gewehren als bedenklich an. Der 1957 gegründete Lemgoer Roll- und Eissportclub griff eine in den 50’er Jahren v. a. bei der Jugend populären Sporttrend auf, der nicht recht in die heimische Sport- und Turnvereinsstruktur passte. Das gewisse Aufbegehren der Abiturienten am EKG gegen die Ausschließung Ernst Werners (siehe dort) ist sicherlich nicht auf die Schüler anderer Schulformen, Altersstufen oder Lehrlinge übertragbar. Eine öffentliche Protestform schien sich in Lemgo nicht zu äußern. Und über private Auseinandersetzungen zwischen Kindern und Eltern würden die Archivquellen nur in Extremfällen Auskunft geben.

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8.0 Lemgo soll Industriestadt werden – Wirtschaft und Unternehmen

Noch bis 1950 waren in der BRD Lebensmittelmarken im Umlauf, bevor diese Reste der Kriegsbewirtschaftung endgültig abgeschafft wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Währungsreform 1948 erhoffte sich Lemgo einen industriellen Aufschwung, um der durch Flüchtlinge und Vertriebenen sprunghaft angestiegenen Bevölkerung ausreichend Arbeitsplätze zu verschaffen. Bauland war allerdings knapp und die privaten Eigentümer nur schwer zum Verkauf zu bewegen. Die bereits vor dem Krieg begonnenen Industrie- und Gewerbegebiete Grevenmarsch und Laubke sollten für die Ansiedlung von Industrie-anlagen verstärkt erschlossen werden. Das erforderliche Baugelände wurde über einen Grundstückstausch mit der Anstalt Eben-Ezer und dem Stift St. Marien 1951 erworben. Eben-Ezer erhielt dafür landwirtschaftlich nutzbare Grundfläche auf der Luherheide. Die Stadt Lemgo betrieb gezielte Industrieanwerbung, vor allem bei Unternehmen in anderen Bundesländern, um diese zur Ansiedlung in Lemgo zu bewegen. Einen besonderen Fokus legte man dabei auf Branchen außerhalb der schon vor Ort dominierenden  Holzindustrie, um einer krisenanfällige Monostruktur entgegen zu wirken. Industrieunternehmen, die selbst von Flüchtlingen und Vertriebenen gegründet worden waren oder deren Produktionsstätten kriegsbedingt zerstört worden waren, lockte man mit entsprechenden Krediten. Nicht in allen Fällen gelang die Ansiedlung, da entweder die finanziellen Möglichkeiten oder die Infrastruktur nicht passten. In den 50’er Jahren siedelten sich in der Grevenmarsch und in der Laubke erstmals Unternehmer, teilweise selbst Geflüchtete und Vertriebene, wie Kotzoldt Leuchten, Staff & Schwarz, Möbelfabrik Reese oder Sturhan/Isringhausen an. Lemgoer Traditionsbetriebe bauten dort ihre Produktion aus wie Scheidt, Schlingmann, Hahn, Kondor, Wrenger oder Wilmsmeier.

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