Fürstin Pauline und die Pocken - ein kleiner Beitrag zum Pauline-Jahr 2020

"Es ist die Pflicht, die jedem Menschen obliegt, der in gesellschaftlicher Verbindung lebt, oder mit mehreren Menschen an einem Ort wohnt, durchaus entgegen, seine Nebenmenschen irgend einer Gefahr auszusetzen, die ihnen nachtheilig oder gar tödtlich werden kann. Kein Bewohner einer Stadt, eines Dorfs oder irgend eines Orts, wo mehrere Menschen zusammen wohnen, hat also das Recht, das ansteckende Gift einer Krankheit an diesen Ort zu bringen, vielmehr ist er es seiner Pflicht gegen die menschliche Gesellschaft, in der er lebt, schuldig, alles, was in seinen Kräften steht, zur Abhaltung desselben beyzutragen." (Verordnung, die Inoculation der Blattern betreffend, von 1799,in: Landes-Verordnungen der Graffschaft Lippe, 4. Bd. Lemgo 1801, S. 187).

Diese uns heute erschreckend aktuell erscheinende Mahnung aus dem Jahr 1799 steht im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die seit der Antike in Europa (und seit der Entdeckung der "Neuen Welt" auch in Amerika und Australien) grassierenden Seuche der Pocken (damals auch Blattern genannt). Die letzte große Epidemie in Deutschland trat 1870 bzw. 1873 auf. Anders als bei vielen anderen, ansteckenden Krankheiten und Seuchen, gab es bei den Pocken in Europa aber seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine Impfung, bei der man zunächst von Pockenkranken Schorf auf Gesunde übertrug, später dann mit Kuhpockenlymphe.

Die Passage aus der landesherrlichen Verordnung von 1799 nimmt genau auf diese "Inoculation" Bezug, da die so geimpften Personen die Pockenkrankheit genauso wie bei einer natürlichen Ansteckung weiterverbreiten konnten. Eine Impflicht gab es zu diesem Zeitpunkt in Lippe noch nicht. Dies wurde auch unter Fürstin Pauline (1769 - 1820) im Jahr 1809 nicht verpflichtend eingeführt (das erste Land war übrigens das Königreich Bayern 1807), aber ihren Untertanen sehr nachdrücklich empfohlen. Pauline griff damit die aktuellen Diskussionen in Fachkreisen und unter Gelehrten ihrer Zeit über die Wirksamkeit und Notwendigkeit solcher Impfungen auf. Das Verfahren war nicht unumstritten und mit Kosten verbunden. Neben der Impfempfehlung enthält die Verordnung auch genaue Anweisungen zum Umgang mit auftretenden Pocken, die anzeigepflichtig waren. Die Betroffenen mussten u. a. in eine strenge, häusliche Quarantäne. Verantwortlich für die Durchführung der Maßnahmen waren Obrigkeit und die Medizinalpersonen.

Eine Impfpflicht für Lippe wurde dann endgültig 1822 unter Fürst Paul Alexander Leopold (II.)(1796 - 1851), dem Sohn Paulines eingeführt. Damit verbunden war auch die Führung von Verzeichnissen der Kinder, die altersgemäß für eine Pockenimpfung in Frage kamen, Impftabellen und Impfscheinen, als Belege über die durchgeführten Impfungen. Die Kosten der Impfung hatten die Untertanen weitgehend selbst zu tragen. Seit 1980 gilt die Welt als pockenfrei.

 

Hier zum Download und Selberlesen aus dem Stadtarchiv:

Landesherrliche Verordnung von 1799

Landesherrliche Verordnung von 1809

Landesherrliche Verordnung von 1822

 

Das Jahr 2020 steht ganz im Zeichen der Fürstin Pauline. Das Lippische Landesmuseum in Detmold plant im 200sten Todesjahr der Fürstin eine eigene Ausstellung, die von zahlreichen Veranstaltungen und Vorträgen begleitet werden soll (siehe zum Jubiläumsjahr auch die Internetseite des Landesverbandes Lippe http://www.pauline2020.de/). Ein Teil des Programmes wird sicherlich der aktuellen Corona-Krise zum Opfer fallen. Das Stadtarchiv beteiligt sich auch an diesem Programm.