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Ihrer Zeit voraus

Neue Veröffentlichung des MWG zu Marianne Weber

Illustration von Jojo Ensslin (Verlag e-enterprsie)

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Im vergangenen Jahr (2020) wäre Marianne Weber, geb. Schnitger, 150 Jahre alt geworden, geboren am 2. August 1870 in Oerlinghausen. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten die ursprünglich für 2020 geplanten Ehrungen abgesagt werden und die Lehrerin am Marianne-Weber-Gymnasium in Lemgo Romy Brüggemann suchte nach Alternativen. Das Ergebnis dieser Suche wurde jetzt als Buch "Ihrer Zeit voraus. Marianne Weber im Blick unserer Schule" im Verlag e-enterprise veröffentlicht. Erstmals begeben sich darin auch Schüler*innen des MWG auf die Suche nach der Namensgeberin ihrer Schule (auch im Stadtarchiv), schrieben fiktive Briefe, verfassten Gedichte, zeichneten Comics, produzierten Videos, wirkten an einer Radiosendung mit und führten Interviews. Nicht zuletzt setzten sie sich mit Fragen der Gleichberechtigung und der Frauenbwegung auseinander. Herausgekommen ist in erster Linie keine historische Abhandlung zu Marianne Weber, aber eine aktuelle Auseinandersetzung mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Wirken bis in die Gegenwart.

Aus dem inzwischen aufgelösten Marianne-Weber-Institut in Oerlinghausen konnte das Stadtarchiv Lemgo auch einen interessanten Original-Brief aus dem Jahr 1875 übernehmen. In diesem Jahr lebte Marianne Schnitger, nach dem Tode ihrer Mutter, bereits bei ihrer Großmutter und Tante Flora in Lemgo, da ihr Vater Eduard Schnitger sich krankheitsbedingt nicht um sie kümmern konnte. Eine Transkription des handschriftlichen Briefes ist im neuen Buch zu finden oder auch hier:

"Liebe Flora!
Die Kleine hat sich gewiß schon in ihrer neuen Heimath eingelebt und ihren Papa, der so häufig an sie denkt, halb und halb vergessen. - Kinder sind gewöhnlich keine Grübler; sie gewöhnen sich bald, und die Vergangenheit entschwindet bald ihres Sinnen und Denken. Es mag ja auch was für sich haben! Sonstige Sorgen mache ich mir um sie nicht, da ich weiß, daß sie in den besten Händen ist. Der Mutter bin ich für ihre große Mühe, der sie sich meinetwegen unterzogen hat, sehr dankbar. Da ich die Sachen mir nachgesehen habe, so ist es mir dagegen liebgewesen, daß ihre ordnende Hand einmal durch mein kleines Hauswesen durchgegangen ist. Hoffentlich wird ihr die Überanstrengung keinen dauernden Schaden bringen und Eure gemeinschaftliche Pflege ihre angegriffene Gesundheit wieder kräftigen und stärken.
Küsse mein liebes Kind von mir, sage ihr, daß ich sie bald einmal besuchen würde, und seid herzlich gegrüßt von Eurem Bruder Ed[uard].

N[ach].S[atz]. Kommode und Wanne kommen mit dem nächsten Fuhrmann; leider höre ich, daß sich nur Ende dieser Woche keine Gelegenheit bieten wird. Dr. S[chnitger]."

Die restlichen Unterlagen und Aufzeichnungen des Marianne-Weber-Institutes sind jetzt im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Der Hauptteil ihres persönlichen Nachlasses befindet sich allerdings in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Im Stadtarchiv Lemgo haben wir mit diesem Brief erstmals ein Privatdokument aus ihrem engsten Familienkreis. Ansonsten ist fast nichts zu ihr im Stadtarchiv vorhanden, lediglich einzelne Hinweise in amtlichen Unterlagen zu ihrer Großmutter und Tante.

Die Überlieferung des Marianne-Weber-Gymnasiums bis zu den ersten Ursprüngen im 19. Jhd. ist allerdings im Stadtarchiv vorhanden und könnten für eine Auseinandersetzung mit der örtlichen Schulgeschichte und der höheren Mädchenbildung durchaus noch genutzt werden. Vielleicht ein Ansporn für Lehrer*innen und Schüler*innen des MWG...