|  Stadtarchiv

Archivpädagogik im Stadtarchiv Lemgo zum Thema „Gastarbeiter“

ein Beitrag zu Diversität und Inklusion anlässlich der diesjährigen International Archives Week

Ansprache des Lemgoer Bürgermeisters Reinhard Wilmbusse (mit Mikrofon) im Türkischen Arbeiterverein. Rechts daneben Ismail Aytekin, der die Übersetzung vorbereitet, o. D. (Stadtarchiv Lemgo, Zug. 2018/034)

image

Ein Schwerpunkt der vom ICA (International Council of Archives) veranstalteten International Archives Week 2021 vom 7. bis 11. Juni sind die Aspekte Diversität und Inklusion, d. h. wie kann man auch Minderheiten und eher unterrepräsentierte Gruppen bei der archivischen Arbeit (u. a. bei der Auswahl der dauerhaft aufbewahrungswürdigen Unterlagen oder in der Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit) berücksichtigen.

Auf diesem Feld steht das Stadtarchiv sicherlich noch am Anfang, aber im Rahmen der Archivpädagogik bieten wir seit einiger Zeit auch ein Modul für weiterführende Schulen zum Thema der sog. Gastarbeiter ab den 1960er Jahren an.

In der örtlichen Möbel- und holzverarbeitenden Industrie waren zunächst vor allem griechische und italienische, später dann auch zunehmend türkischstämmige und jugoslawische Arbeitnehmer beschäftigt. Ab dem Anwerbestopp 1973 wurden diese Gruppen in der Bevölkerung, Presse, Verwaltung und Politik zunehmend  kritisch gesehen und tauchten so als Fälle oder als zunehmendes Problem in den Unterlagen des Sozialamtes bzw. der örtlichen Schulen wegen fehlender oder mangelnder Sprachkenntnisse auf. Die Tätigkeit des türkischen Arbeitervereins als eine Form der Selbstorganisation der „Gastarbeiter“ in Lemgo spiegelt sich deswegen v. a. in den Akten des Sozialamtes wieder. 1981 bildete sich dann auf Ebene der politischen Gremien ein nur aus Deutschen bestehender Arbeitskreis Ausländer und 1985 ein Ausländer-Beirat, der die Zusammenarbeit mit den nun zunehmend als Migranten wahrgenommenen Gruppen suchen sollte. Bereits 1970 hat sich in Lemgo ein Fest der Nationen entwickelt, das bald als Prüfstein für ein erfolgreiches oder eben nicht erfolgreiches Miteinander in Lemgo empfunden wurde

Innerhalb des archivpädagogischen Moduls werden die Schülerinnen und Schüler zunächst mit unterschiedlichen Unterlagen und Materialen zum Thema „Gastarbeiter“ im Original aus den Beständen des Stadtarchivs konfrontiert, u. a. Akten des Sozialamtes, ein Protokollband des Ausländerbeirates, Zeitungsausschnitte, Schulunterlagen zum muttersprachlichen Unterricht, ein Schüleraustauch mit der Stadt Bursa in der Türkei und Unterlagen des türkischen Arbeitervereins. Daneben finden die Schülerinnen und Schüler auch einen Band der städtischen Hausblätter. Die Serie der Hausblätter erfassen - nach Straßen und Hausnummern geordnet - alle gemeldeten Personen in Lemgo zwischen 1914 und 1964. Unter den Firmenadressen können die Schülerinnen und Schüler dann erkennen, dass die „Gastarbeiter“ ab 1963 genauso wie die Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges auf dem Betriebsgelände des Unternehmens, bei dem sie eingesetzt waren, auch wohnten, vermutlich sogar in den selben Unterkünften…

In einem nächsten Schritt setzen sie sich inhaltlich-kritisch mit den Darstellungen der „Gastarbeiter“ in zwei Presseberichten (1963 und 1978) auseinander. Eine weitere Gruppe analysiert zwei Darstellungen zur „Ausländerarbeit“ in Lemgo, einmal aus Sicht der Verwaltung und einmal als politische Äußerung. Für fortgeschrittene Schülergruppen gibt es noch Zusatzmaterial in Form von Presseberichten und Meinungen zu in türkischer Sprache verfassten politischen Parolen an Lemgoer Häuserwänden 1978, die als Reaktionen zu innerpolitischen Auseinandersetzungen in der Türkei (Militärputsch) zu verstehen sind. 

Hier bieten sich dann neben der Diskussion der Analyseergebnisse mit den Schülerinnen und Schülern auch Anknüpfungspunkte an die Gegenwart an.

Bei Interesse an der Durchführung dieses Moduls durch Schulen können sich die Lehrkräfte gerne beim Stadtarchiv melden.